Auszug aus dem Kapitel Indigo
Früher wurde Indigo pflanzlich gewonnen: Neben dem Indigostrauch, der vor allem in Indien vorkommt, wurde Indigo auch aus dem einheimisch vorkommenden Färberwaid isoliert. Nach der Ernte liess man die Pflanzen wässern und vergären. Aus der so erhaltenen Lösung konnte entweder Indigo gewonnen werden oder sie konnte direkt zum Färben verwendet werden. 1878 gelang die erste Indigosynthese. Der synthetische Indigo verdrängte den pflanzlich gewonnenen und die Plantagen gingen weltweit ein. Doch auch der künstliche Indigo konnte neben den vielen neu synthetisierten blauen Farbstoffen, die billiger waren, nicht lange bestehen. Erst mit der Jeans-Mode wurde er wieder begehrt.
Indigo ist einer der ältesten und wichtigsten Naturfarbstoffe, mit dem schon vor Jahrtausenden in der ganzen Welt - in Ägypten, Indien und China - Kleider, Teppiche und Tongefässe blau gefärbt wurden. Bei einigen Volksstämmen in Südamerika diente Indigo gar als Schminke für die Lippen und die Kelten färbten als Kriegsbemalung ihren ganzen Körper mit Indigo ein, wie in den Memoiren von Julius Cäsar „De bello gallico“ nachgelesen werden kann. Die Spuren von Indigo führen auch nach Frankreich, Deutschland und in die Schweiz.
Zum Schutz der Waidhändler wurden gegen den Indigoimport drastische Massnahmen ergriffen. Im Jahre 1609 wurde in Frankreich und Sachsen der Gebrauch von Indigo unter Androhung der Todesstrafe verboten. Die „fressende Teufelsfarbe“ war auch in Deutschland verboten. In England gelang es der Waidwirtschaft Indigo für giftig zu erklären. Indigo ist und bleibt aber ungiftig.
Nachstehend möchte ich Ihnen zu fünf Bildsegmenten den geschichtlichen Hintergrund erzählen. 1. Blau machen, 2. Napoleon der erste, 3. Adolf von Baeyer 4. Das Aspirin, 5. Jeans Mode
Blau Machen
In ganz Europa wurde die Blaufärberei betrieben. Einige Redewendungen entwickelten sich aus dieser Färberzeit. Mit „Blau machen“ bezeichneten die Blaufärber die im Laufe des komplizierten Färbeprozesses auftretenden Zwangspausen. Nachdem die Textilien über den Sonntag in der so genannten Küpe gelegen hatten, waren sie noch nicht blau, sondern hatten nur die gelbliche Farbe der unappetitlichen Brühe, die zum Färben benutzt wurde. Sie mussten nun erst noch an der Luft trocknen, damit sich das Blau in seiner vollen Pracht entfalten konnte. Sonntags arbeitete man nicht und so lag das Färbegut einen Tag mehr in der Küpe. Am Montag wurde dann “Blau gemacht“. Die Küpe war besonders gut, wenn sie mit dem Urin von Männern angesetzt wurde, die ordentlich Alkohol getrunken hatten – also blau waren. Am „blauen Montag“ konnten die Waidfärber dann aber wenigstens in der Sonne liegen und gegebenenfalls ihren Rausch ausschlafen.
Napoleon 1
In der Mitte des Bildes ist Napoleon der erste abgebildet. Die Figur des Monarchen symbolisiert Macht und Reichtum und soll aufzeigen welchen Stellenwert Indigo in der damaligen Wirtschaft hatte. Bei der Recherche nach Portraits von Napoleon 1 stiess ich auf das Gemälde von Gérard François, baron (1770-1837) Grossbritannien eroberte sich 1795 eine Monopolstellung im Indigohandel. Den Franzosen gefiel diese Abhängigkeit nicht. Napoleon I versuchte durch Förderung des Waidanbaus und mit einer Importsperre für englische Produkte zu antworten. Er setzte 1810 einen Preis von 425 000 Franken für die Verbesserung der Waidfärberei oder das Auffinden einer leicht anbaubaren Ersatzpflanze aus. Ein Jahr später wurde der Waidanbau in ganz Frankreich gesetzlich angeordnet. Doch alle diese Bemühungen führten infolge der nur noch kurzen Lebensdauer des Kaiserreiches zu keinem Erfolg.
Adolf von Baeyer
Der rationelle Plantagenanbau des natürlichen Indigos brachte noch immer ein günstigeres Produkt auf den Markt. Doch war es Adolf von Baeyer, der grundsätzlich zeigte, dass die Synthese von Indigo möglich ist. Ein Meilenstein in der Entwicklung der synthetischen Farben war gelegt. Nun setzte eine stürmische Entwicklung ein und viele neue Verfahren zur Herstellung von Indigo wurden patentiert. Es dauerte nicht lange, und auch die Teerfarben-Industrie interessierte sich für diese neuen Verfahren, insbesondere für den Schweizer Traugott Sandmeyer. Viele seiner Reaktionen und Patente halfen mit den Weltruf der Firma Geigy und damit der Basler Chemie zu begründen. Aspirin von Baeyer Als Nebenprodukt in der Farbproduktion fielen grosse Mengen an Nitrophenol an. Es wurde in Fässern abgefüllt und auf dem Werksgelände gelagerte. Bald war die ganze Fabrik mit diesen Fässern überstellt - eines der ersten grossen Entsorgungsprobleme der jungen technischen Chemie. Bei der Lösung des Abfallproblems war, wie so oft in der Geschichte, auch hier der Zufall im Spiel. Ein Strassburger Apotheker verkaufte zwei jungen Ärzten einen falschen Stoff, eine glückliche Verwechslung, wie sich herausstellte. Die beiden Mediziner wollten einen erkrankten Hund behandeln und fanden so die unerwartete Eigenschaft von Acetanilid. Ein Arzneimittel mit dem Namen Antifebrin kam auf den Markt. Bayer wurde auf dieses Medikament aufmerksam und brachte ein ähnlich wirkendes Mittel in Umlauf. Im Vergleich zu Acetanilid verwendete er das aus der Farbindustrie angefallene Entsorgungsproblem p-Nitrophenol. Phenacetin war ihr erstes erfolgreiches Medikament. Phenacetin wirkt bei Migräne, Ischias, Neuralgien, Rheuma usw. und war bis zum Verbot 1986 in zahlreichen schmerzstillenden und fiebersenkenden Präparaten enthalten. Neun Jahre später entstand ein weiteres Medikament, das heute Weltruhm genießt: das Schmerzmittel Aspirin. Die Suche nach einem blauen Farbstoff führte also indirekt auch zu der Entwicklung der Pharmaindustrie, denn viele Farbenfabriken begannen nun mit der Produktion von
Jeans Mode
Blenden wir einige Zeit zurück. Im Jahre 1850 wandert ein zwanzigjähriger Kaufmann namens Levi Strauss aus Buttenheim (Oberfranken) nach San Francisco aus. Zu dieser Zeit herrschte im Westen der USA der Goldrausch und Levi Strauss stellte aus indigogefärbtem Drillich strapazierfähige Arbeitskleider her. Den Drillich führte er aus dem französischen Nîmes ein. Aus dem „Bleu de Nîmes“ wurde so das amerikanisierte „Blue Denim“, die heute noch übliche Bezeichnung für diese Textilart. Das benötigte Indigo importierte man über Genua in die USA. Aus „Bleu de Gênes“ wird „Blue Jeans“. 1872 wurden die bekannten Kupfernieten zur Verstärkung eingeführt und patentiert. Und die neue Jeanswelle am Ende der sechziger Jahre verhalf dem Indigo zu einem Comeback. Der Jugend war alles Perfekte suspekt und so wurden die mit Indigo, einem nicht ganz so perfekten Farbstoff, gefärbten Jeans zum Ausdruck einer veränderten Lebenseinstellung. Aus dem König der Farbstoffe wurde ein Symbol der Nonkonformisten. Heute sind die Jeans schlicht und einfach legere Freizeitmode - alle tragen Jeans. Neunzig Prozent der Indigoproduktion wird weltweit zum Färben von Jeanskleidung verwendet. Für ein Paar Jeans werden, je nach Qualität, 3 bis 12 Gramm Indigo benötigt. Das entspricht bei einem Indigopreis von dreissig Franken pro Kilogramm einem Wert von 10 bis 35 Rappen. Obwohl die Weltproduktion in der Grössenordnung von einer Milliarde Indigo-Jeans pro Jahr liegt, spielt Indigo mit einem Weltjahresumsatz von gut 400 Millionen Franken für die Chemieindustrie wirtschaftlich nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Buffalo Color Corp. in den USA, die BASF in Deutschland, ICI (Imperial Chemicals Industries) in England und Mitsui Toatsu in Japan sind heute die vier führenden Gesellschaften zur Herstellung des synthetischen Indigos. Die Beliebtheit des Indigos bis auf den heutigen Tag ist seiner recht guten Wasch- und Lichtechtheit zu verdanken. Auf Wolle ist seine Lichtechtheit vorzüglich. Bei längerer und intensiver Lichteinwirkung verblasst die Färbung, doch es bilden sich keine missfarbigen Abbauprodukte wie bei anderen Blaufarbstoffen. Indigo ist nach wie vor der populärste Farbstoff der Welt, mit einer Jahresproduktion von mehr als neuntausend Tonnen.